Zeichnen gegen die Angst – wie Kunst mir hilft, Vertrauen zu finden
- Karina Röpcke
- 8. Nov.
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Nov.
End the Stigma: Warum wir über Angst sprechen müssen

Thema: Umgang mit Ängsten durch kreativen Ausdruck |
Lesedauer: ca. 8 Minuten Fokus: Zukunftsangst, Verlustangst, Geldsorgen, Autofahrangst Methoden: Schreiben, Zeichnen, ABCD-Modell, Akzeptanz Ziel: Angst verstehen, annehmen und transformieren – mit Zeichnen gegen Angst als kreativer Weg zur Selbsthilfe |
Angst kennt jede:r – sie zeigt sich in Geldsorgen, Zukunftsangst oder dem Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Doch was, wenn du ihr statt Weglaufen etwas entgegensetzt? Ich habe gelernt, meine Ängste zu zeichnen, zu schreiben und dadurch Stück für Stück Vertrauen zu finden. Kunst wurde für mich nicht nur Ausdruck, sondern Selbsthilfe. Und genau darum geht es in diesem Text: um den Mut, Angst sichtbar zu machen – Strich für Strich.
Inhaltsverzeichnis:
1. Die vielen Gesichter der Angst – wie sie sich zeigt und was sie will
Angst ist kein Fremder in meinem Leben. Sie hat viele Gesichter – manche laut, manche leise. In den letzten Monaten bin ich durch sämtliche Ängste gegangen: die Autofahr-Angst, die Ich-schaff-das-alles-nicht-Angst, die Angst um meine Mom und natürlich die allgegenwärtige Ich-verlier-die-Kontrolle-Angst.
Was mir geholfen hat? Das Schreiben meiner Morgenseiten – und vor allem: die Kunst.
2. Schreiben & Zeichnen als Anker: Kreative Wege aus der Angst
Oh je, was würde ich nur ohne meine täglichen Schreibeinheiten tun?
Sie beruhigen mich, geben meinen Gedanken Raum, schaffen Ordnung, wo Chaos war. Hier darf alles sein, was ich nicht laut ausspreche – Sorgen, Ängste, Zweifel, Fragen. Und manchmal, ganz zwischen den Zeilen, tauchen auch Antworten auf.
Und dann sind da meine Mini-Me’s – kleine, gezeichnete Versionen meiner selbst, die all das ausdrücken, was Worte manchmal nicht schaffen. Ich zeichne mein Leben, um mein Leben. Und ich liebe es so sehr.
In der Psychologie nennt man das „Emotional Processing“ – ein Weg, Gefühle zu verarbeiten, indem man sie sichtbar macht. Für mich ist es keine Methode, sondern pures Überleben mit Fineliner und Zeichentusche.

3. Wenn die Angst mitfährt – eine Autofahrt zurück ins Vertrauen
Im August bekam ich einen Auftrag für einen richtig coolen Job.
„Ja!“, schrie mein Herz, „Bist du irre?“, mein Verstand. „Du musst Auto fahren.“
Mit Mitte 20 hatte ich meine Tante belächelt, weil sie die 30 Kilometer Landstraße zu meiner Familie nicht mehr mit dem PKW fuhr. Tja, zwanzig Jahre später kenne ich dieses unangenehme Gefühl.
Ich hatte jahrelang Ausreden – ich fahre lieber mit den Öffis, es gibt keinen Rückfahrpieper, .... Schon der Gedanke ans Fahren ließ meinen Magen flau werden. In meinem Kopf war unser Bulli ein 7-Tonner, den ich durch winzige Gassen fahren musste. Ebenso beim Einparken. Mit dem LKW in eine Parklücke, die für einen Smart geeignet war.
All dies hielt mich ab, mich hinters Steuer zu setzen und mich meiner Angst zu stellen.
Und dann kam Tag X:
Meine Mom auf dem Beifahrersitz (ja, auch 47-jährige Frauen brauchen manchmal ihre Mütter – und meine wurde offiziell zur Einparkhilfe ernannt). Sonne, Autobahn, angespannte Muskeln, Herzklopfen. Ich fuhr nach Meißen. Die Gebete um einen Parkplatz direkt vor der Location wurden erhört, und ich durfte einen wundervollen, kreativen Workshop geben.
Durchatmen, zurück ins Auto – der Rückweg wartete. Und dann auch noch bei Dunkelheit. Da war sie wieder, meine Angst.
Unentspannt fuhr ich auf die Autobahn. Und dann ... unser Bulli! Auf ihn und seine Star-Allüren ist Verlass! Die Öllampe blinkte auf. Also Blinker gesetzt, Ausfahrt genommen, an einer verlassenen Tankstelle gehalten. Laut fluchend, unter telefonischer Anweisung meines Freundes und mit meiner Mutter als Taschenlampen-Assistentin, goss ich Öl nach. Zurück ins Auto, tief durchgeatmet, und in Richtung Leipzig weiter. Verbotenerweise parkte ich schließlich auf dem Aldi-Parkplatz – und atmete zum ersten Mal richtig aus.
Völlig erschöpft, aber unfassbar stolz, fiel ich ins Bett.
Meine Bestätigung des Tages: Ich kann alles tun – auch mit Angst.

4. Der psychologische Blick: Kreislauf der Angst & das ABCD-Modell erklärt
Ich habe meine Autofahrangst gezeichnet.
Ein Kreislauf aus Trigger → Gedanken → Gefühl → Verhalten. Je mehr ich vermeiden wollte, desto enger wurde der Kreis. Erst als ich ihn sichtbar machte, wurde er durchlässig. Das nennt man den Kreislauf der Angst – ein Muster, das wir alle kennen. Sobald wir erkennen, dass es die Gedanken sind, die das Gefühl füttern, entsteht Bewegung.
Mehr dazu liest du in meinem Artikel über kognitive Denkfehler – dort zeige ich, wie unser Denken uns manchmal in die Irre führt und wie du es liebevoll korrigieren kannst.
Auch das ABCD-Modell nach Albert Ellis hilft mir, besonders in Zeiten von Zukunftsangst und Geldsorgen:
A (Auslöser): Ein Auftrag fällt weg.
B (Belief): „Ich schaffe das nie, ich bin gescheitert.“
C (Consequence): Angst, Enge, Druck.
D (Disputation): „Ich habe schon andere Krisen überlebt – und Kunst ist meine Konstante.“
Diese Modelle sind keine Theorien mehr, wenn man sie zeichnet. Sie werden zu Bildern, Farben, Linien – zu etwas, das atmet. Für mich ist es Kunsttherapie in Selbsthilfeform – ehrlich und ganz ohne Leistungsdruck.
Was ist das ABCD-Modell? |
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Das ABCD-Modell stammt von Psychologe Albert Ellis. Es beschreibt, wie unsere Gedanken Gefühle und Verhalten beeinflussen – und wie wir sie durch bewusste Reflexion verändern können. |
Das ABCD-Modell – Angst verstehen in vier Schritten
Schritt | Was passiert hier? |
A – Auslöser | Etwas passiert – z. B. du bekommst eine Absage oder musst Auto fahren. |
B – Belief (Glaube / Bewertung) | Du denkst: „Ich schaffe das nicht“ oder „Ich bin gescheitert.“ |
C – Consequence (Gefühl / Reaktion) | Dein Körper reagiert: Angst, Anspannung, Vermeidung. |
D – Disputation (Hinterfragen) | Du prüfst: Ist das wirklich wahr? Gibt es Beweise dagegen? – Und ersetzt den Gedanken durch einen realistischeren, z. B. „Ich habe schon andere Situationen gemeistert.“ |
🤍 Wenn du diesen Kreislauf zeichnest, machst du sichtbar, was in dir passiert – und schaffst Raum, um neu zu denken.
5. Zeit für die Angst: Warum Akzeptanz der Wendepunkt ist
Am Tag meiner großen Fahrt hörte ich am Morgen einen Satz, der mich seitdem begleitet:
„Die Angst liegt immer hinter uns, nicht vor uns.“
Wir fürchten selten, was vor uns liegt – sondern, was einmal war.
Ich verlor 2025 meinen geliebten Nebenjob, Aufträge wurden abgesagt oder blieben ganz aus, das Konto war leerer als mir lieb war. Das Jahr war ein Arschloch – ehrlich gesagt. Aber ich zeichnete. Ich ließ die Angst neben mir sitzen. Ich gab ihr Zeit und Farbe. Und irgendwann wurde sie stiller.

6. End the Stigma: Warum wir über Angst sprechen müssen
Angst gehört zum Leben. Sie ist kein Feind, sondern ein Freund, der uns auf etwas hinweist. Wir alle tragen sie: die Angst vor Verlust, Kontrolle, Zukunft. Doch wir leben in einer Gesellschaft, die Stärke mit Angstfreiheit verwechselt.
Es gibt kein angstfreies Leben. Es gibt nur den Mut, mit der Angst weiterzugehen.
Darüber zu sprechen, zu schreiben, zu zeichnen – ist kein Zeichen von Schwäche. Es ist ein Akt von Menschlichkeit. Wenn wir über unsere Ängste schweigen, vergrößern wir sie. Wenn wir sie sichtbar machen, verlieren sie ihre Macht.
Ich schreibe, um das Schweigen zu brechen. Ich zeichne, um zu verstehen. Ich teile, um zu zeigen: Du bist nicht allein.
Und ja – manchmal ist die Angst zu laut, zu groß. Wenn sie uns leiden lässt, den Alltag bestimmt oder das Leben eng macht, ist professionelle Unterstützung kein Zeichen von Versagen, sondern von Selbstfürsorge. Therapie, Coaching, ärztliche Hilfe – sie sind Wege, nicht Schwächen.
Schreiben und Zeichnen können helfen, Brücken zu bauen – zwischen dem, was wir fühlen, und dem, was wir verstehen. Aber manchmal brauchen wir jemanden, der mit uns darüber spricht. Und das ist vollkommen in Ordnung.
7. Versöhnung & Vertrauen – was Kunst über Mut lehrt
Vielleicht war 2025 gar kein verlorenes Jahr.
Es hat ordentlich geruckelt und sich neu sortiert. Ich habe einen großartigen Auftrag bekommen, durch den ich mir endlich mein lang ersehntes iPad kaufen konnte – und darf nun auch beruflich digital zeichnen.
Ich darf Sandra, meine liebe Bloggerkollegin, mit Illustrationen für ihr Magazin unterstützen und meine Mini-Me's digital umsetzen – passend zum jeweiligen Magazin-Thema. Außerdem gebe ich inzwischen kreative Workshops für Kinder und Erwachsene.
All das wäre vielleicht auch so passiert. Aber das Zeichnen hat mir den Weg dorthin erleichtert. Es hat mich getragen – und mich mit meinen Ängsten versöhnt.
Vielleicht war es das Jahr, in dem ich lernte, mit der Angst zu leben, statt gegen sie.
Heute glaube ich: Angst ist kein Feind. Sie ist eine Einladung, mir selbst zuzuhören. Und Kunst ist die Sprache, in der sie antwortet.

8. Fazit: Zeichnen gegen Angst als kreative Selbsthilfe
Kunst ersetzt keine Therapie. Aber Zeichnen gegen Angst kann eine sanfte Form der Kunsttherapie-Selbsthilfe sein. Und für mich ist sie ein sicherer Ort, an dem Heilung beginnt –leise, farbig, ungefiltert.

Angst zeigt sich bei jedem anders – und oft findet jede:r den eigenen Weg, mit ihr umzugehen. Ich würde mich freuen, wenn du deine kreative Methode gegen Angst in den Kommentaren teilst: Schreibst du, malst du, tanzt du, bastelst du?
Und wenn du Lust hast, dieses Jahr gemeinsam kreativ zu werden: Mach mit bei meinem Adventskalender Merry heART-mas – einem kleinen Herzensprojekt voller Farbe, Mut und Vertrauen.
Alles Liebe – Karina 🤍

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Liebe Karina, was für ein wunderschöner, wertvoller und inspirierender Artikel. Ich habe gerade erst angefangen zu entdecken, wie hilfreich das Zeichnen seiner Ängste ist. Es geht um ein Vielfaches tiefer, als sich nur mit dem Kopf damit zu beschäftigen. Und es löst gleichzeitig Knoten und Blockaden, sodass es einfacher wird, loszulassen. Außerdem hat mich dieser Artikel so fasziniert, dass ich gleich in deine Newsletter-Liste gehüpft bin.
Liebe Grüße Heike 🙋
Ach, liebe Karina, was für ein schöner Artikel. Da steckt so viel drin. Ich habe gar nicht gezählt, wie oft ich ihn schon gelesen habe. Mir hilft es sehr, Bilder zu malen, um meine Ängste zu verarbeiten. Es hilft mir in doppelter Hinsicht: Es entstehen wunderbare Erinnerungen, die ich Rahmen kann. Und ich werde ruhiger. Für mich ist Kunst magisch. Sie kann zaubern. Liebe Grüße
Liebe Karina, sehr inspirierend, deine Mini Me´s ....ich selbst schreibe – und will immer auch zeichnen und malen ... Deine Inspiration wird mich jetzt eine Weile begleiten und vielleicht sogar zu einem ersten eigenen Mini Me führen. Liebe Grüße Sabine
Liebe Karina,
das ist ein wirklich schöner Artikel. Ich schreibe auch, um meine Ängste zu überwinden. Aber manschmal hilft bei mir nur Laufen. Manche Jahre schütteln einen wirklich so richtig durch. Bei mir war das 2023 so. Und gefühlt habe ich 2024 gebraucht, um wieder ins Lot zu kommen. Immer wieder schön zu erfahren, dass man mit solchen Gefühlen nicht alleine ist. Liebe Grüße, Rita
Liebe Karina, was für ein unfassbar schöner Artikel! Danke, dass du uns in deine Innenwelt mitnimmst und sie durch deine Kunst sichtbar machst. Ich bin wie du der Meinung, dass wir diese Stigmata überwinden müssen und darüber sprechen müssen, wovor wir uns manchmal fürchten. Und, dass wir Hilfe suchen und finden müssen, wenn wir sie brauchen. Ich wollte immer gut zeichnen können, hab das aber nie wirklich hinbekommen. Mein kreativer Ausgleich, bei dem mein Kopf frei wird und ich meine inneren Stimmen besonders gut höre, ist Stricken und im Sommerhalbjahr Gartenarbeit. (Ich hoffe, das zählt als Kreativität.😉) Liebste Grüße Irina